Sondernewsletter: Vorhofflimmern durch Omega-3? – Aktuelle Studienlage

9,3 Minuten LesezeitVeröffentlicht am: 18. Dezember 2023Von Kategorien: Unkategorisiert

Omega-3-Fettsäuren spielen eine entscheidende Rolle für die Herzgesundheit. Sie sind nicht nur für die Bildung von Prostaglandinen der Gruppe 3 verantwortlich, die blutdrucksenkend und beruhigend wirken, sondern hemmen auch die Verklumpung von Blutplättchen und wirken entzündungshemmend. Darüber hinaus tragen Omega-3-Fettsäuren zur Aufrechterhaltung eines gesunden Cholesterinspiegels bei und können das Risiko von Herzrhythmusstörungen reduzieren. Ihre vielfältigen positiven Effekte auf das Herz-Kreislauf-System machen sie zu einem wichtigen Bestandteil einer herzgesunden Ernährung. 

Am 16. November dieses Jahres, ging ein „Rote Hand Brief“ an Ärzte, Apotheker und Heilpraktiker mit dem Titel „Omega-3 Fettsäure-haltige Arzneimittel: Dosisabhängig erhöhtes Risiko für Vorhofflimmern bei Patienten mit etablierten kardiovaskulären Erkrankungen oder kardiovaskulären Risikofaktoren“. Steht dieses Risiko im Widerspruch zu den ansonsten gesundheitsförderlichen Auswirkungen von Omega-3-Fettsäuren auf das Herz-Kreislauf-System? 

Vorhofflimmern (VHF) ist eine Herzrhythmusstörung, bei der die Vorhöfe des Herzens unregelmäßig und zu schnell schlagen. Durch den dadurch bedingten Blutstau in den Vorhöfen können sich Gerinnsel bilden, die, wenn sie ins Gehirn transportiert werden, zu Schlaganfällen führen können. Das Vorhofflimmern an sich ist also keine akut lebensbedrohliche Situation, sondern erst die Folgen, die sich daraus ergeben können 

Es geht um pharmakologische Formulierungen und nicht um natürliche Omega-3-Fettsäuren 

In diesem „Rote Hand Brief“ geht es explizit nur um Omega-3 Fettsäure-haltige Arzneimittel (in Deutschland zugelassen: OMACOR, ZODIN und ein Generikum von OMACOR der Firma Ratiopharm), welche Omega-3 Fettsäuren in Form von chemisch aufgereinigten, hochkonzentrierten und halbsynthetisch gewonnen Ölen fetter Fischarten beinhalten (sogenannte Omega-3-Säure-Ethylester). Diese Medikamente werden in der Therapie der Hypertriglyceridämie, zur Senkung der Blutfettwerte, eingesetzt. Somit sind sie lediglich für kranke Menschen mit Vorerkrankungen wie z.B. Herzschwäche, Herzklappenproblemen, Bypass-Patienten und Herzinfarkt oder bestehenden, bekannten Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Homocystein und Lipoprotein(a)-Erhöhung, Diabetes mellitus und Arteriosklerose gedacht.  

Demgegenüber kommen Omega-3 haltige Fisch- oder Algenöle in flüssiger- oder Kapselform in der Prävention zum Einsatz. Die wirksamen Omega-3-Fettsäuren EPA und DHA kommen in natürlichen Fisch- und Algenölen in unterschiedlicher Menge und in Kombination mit Triglyceriden vor.  

Die Studien  

Die Grundlage des “Rote Hand Briefs” sind Übersichtsarbeiten und Metaanlaysen randomisierter kontrollierter Studien, die ein dosisabhängiges erhöhtes Risiko für VHF bei den o.g. Patientengruppen durch Omega-3-Säure-Ethylesterhaltige-Arzneitmittel, nahelegen. Dabei zeigten meist erst Dosierungen von > 1 g / Tag ein Risiko für VHF als Dosierungen von < 1 g / Tag. Pro zusätzlichem Gramm Wirkstoff war das relative Risiko für VHF-Ereignisse um 10-11% erhöht. Bei einer Dosierung von 4 g/Tag war das beobachtete Risiko für VHF am höchsten [1]. Allerdings wurden in keiner der Studien unterschiedliche Dosierungen (z. B. hoch vs. niedrig vs. Plazcebo) von Omega-3-Ethylester-haltigen Arzneimitteln direkt im Hinblick auf das Risiko für Vorhofflimmern verglichen. Zudem hatten lediglich 3,6 % der insgesamt 81.210 in die Analysen einbezogenen Patienten während des Studienzeitraums ein Vorhofflimmern-Ergebnis. Hauptsächlich wurden die folgenden Studien betrachtet:  

REDUCE IT 

Diese Studie ergab, dass bei Patienten mit erhöhten Triglyceridspiegeln, welche bereits eine Statintherapie erhielten, die zusätzliche Einnahme von 4 g Icosapentethyl (ein Ethylester der Omega-3-Fettsäure EPA) zu einer signifikanten Risikoreduktion für Gefäßverengungen und -verschlüsse sowie kardiovaskuläre Todesfälle um 20 % führten. Die Rate an Vorhofflimmern in der Studiengruppe, welche die Ethylester der Omega-3-Fettsäure EPA erhielten, war lediglich um 1,4 % höher als unter Placebo [2].   

ASCEND  

15.480 Patienten > 40 Jahre mit Diabetes und ohne Anzeichen einer Herz-Kreislauf-Erkrankung wurden in dieser Studie in eine Gruppe mit täglich 1 g marinen Omega-3-Fettsäuren (Mischung aus EPA und DHA) und eine Gruppe mit einem Placebo aus Olivenöl eingeteilt. Während des Beobachtungszeitraums von durchschnittlich 7,4 Jahren zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen hinsichtlich negativer kardiovaskulärer Ereignisse. Die Teilnehmenden durften zusätzlich Omega-3-Präparate einnehmen, wenn diese unter 1 g/Tag dosiert waren. In der publizierten Studie findet sich kein Hinweis auf eine Erhöhung der VHF in der Omega-3-Gruppe im Vergleich zur Placebo-Gruppe. Im Gegenteil, es wird darauf hingewiesen, dass die getestete Dosierung von Omega-3-Fettsäuren nicht zu schwerwiegenden Nebenwirkungen oder unerwünschten Ereignissen geführt hat [3]. 

STRENGTH  

In dieser doppelblinden, randomisierten, multizentrischen Studie erhielten 13.078 Patienten zusätzlich zu einer Basistherapie mit Statinen entweder täglich 4 g einer Carbonsäureformulierung von EPA und DHA oder Maisöl als Placebo. Die Studie wurde vorzeitig abgebrochen, da sich keine signifikanten Unterschiede abzeichnetenAuch in dieser Studie wurden wieder keine natürlichen Omega-3-Fettsäuren eingesetzt [4]. 

OMEMI   

1.014 Herzinfarktpatienten im Durchschnittsalter von 75 Jahren wurden in dieser randomisierten klinischen Studie in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe erhielt über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren 1,8 g marine Omega-3-Fettsäuren (Mischung aus EPA und DHA), die Placebogruppe Maisöl. Es konnte keine Reduktion klinischer Ereignisse, wie z.B. Schlaganfall, schwere Blutungen etc. unter der Behandlung mit Omega-3-Fettsäuren im Vergleich zum Placebo festgestellt werden. Allerdings gab es in der Omega-3-Gruppe mehr Patienten mit erstmaligem Auftreten von VHF als in der Placebo-Gruppe. Der Unterschied erreichte jedoch keine statistische Signifikanz [5]. 

VITAL 

In dieser randomisierten klinischen Studie an 24.127 Erwachsenen im Alter von > 50 Jahren führte die Einnahme von 840 mg/Tag mariner Omega-3-Fettsäuren (EPA-DHA-Mischung) oder 2.000 I.E. Vitamin D 3 im Vergleich zu Placebo über eine Nachbeobachtungszeit von ca. 5 Jahren zu keinem signifikanten Unterschied im Risiko für Vorhofflimmern [6].  

Risiko für Schlaganfälle auch bei diesen Medikamenten nicht erhöht  

Die eigentliche Gefahr bei VHF, das Auftreten von Schlaganfällen, war bei all diesen Studien jedoch auch in den Omega-3-Fettsäurengruppen nicht erhöht. Zudem kann VHF auch durch einen Mangel an Omega-3-Fettsäuren ausgelöst werden [7]. Diese Tatsache bleibt im “Rote Hand Brief” unberücksichtigt.  

Darüber hinaus ist bekannt, dass es im Hinblick auf VHF in Verbindung mit Omega-3-Fettsäuren einen “Idealbereich” des Omega-3-Fettsäurespiegels im Körper gibt, in dem wir Menschen das geringste Risiko haben, ein VHF zu entwickeln. Sowohl zu wenig als auch zu viel Omega-3 kann das Risiko für VHF erhöhen. Der ideale Bereich liegt zwischen 8 und 11 % EPA plus DHA, gemessen in den roten Blutkörperchen [8]. Daraus ergibt sich ein U-förmiger Verlauf des VHF-Risikos unter dem Einfluss von Omega-3-Fettsäuren [9, 10]. Auch das Risiko für Herzinfarkt, Herztod, instabile Angina pectoris oder eine Notfalleinweisung ins Krankenhaus war bei Omega-3-Fettsäuren im Idealbereich deutlich geringer.     

Zudem können erhöhte Triglyceridwerte unabhängig von Omega-3-Fettsäuren und Medikamenten durch eine kohlenhydratarme Ernährung gesenkt werden. Lesen Sie dazu mehr in unserem Artikel über Ketogene & Low Carb Ernährungsformen.  

Fazit:  

Der Mensch profitiert von den gesundheitsfördernden und präventiven Wirkungen natürlicher Fisch- oder Algenöle, unter Berücksichtigung der idealen Dosierung. Der “Rote-Hand-Brief” bezieht sich ausschließlich auf Patienten, die die darin aufgeführten Medikamente einnehmen. 

Patienten mit Herzerkrankungen sollten generell einen Arzt aufsuchen, sobald sie bei sich Unregelmäßigkeiten im Herz-Kreislauf-Bereich feststellen. Dabei können z.B. Smart Watches helfen, auch unbemerkte Unregelmäßigkeiten zu erkennen und ein frühzeitiges, mitunter lebensrettendes Handeln unterstützen.  

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass einschließlich der Placebogruppen nur bei 3,6 % der in die Analysen einbezogenen Patienten, ein VHF auftrat, welches aber nicht zu einem erhöhten Auftreten von Schlaganfällen führte.
 

Wer sichergehen will, sollte vor einer Supplementierung und erst recht vor einer medikamentösen Therapie mit Omega-3-Säure-Ethylestern den Omega-3-Fettsäurespiegel in den roten Blutkörperchen messen. Nur so kann die entsprechend wirksame und gesundheitsfördernde Dosis an Omega-3-Fettsäuren ermittelt werden, um den optimalen Bereich zu erreichen. 

Quellen: 

[1] Gencer B, Djousse L, Al-Ramady OT, Cook NR, Manson JE, Albert CM. Effect of Long-Term Marine ɷ-3 Fatty Acids Supplementation on the Risk of Atrial Fibrillation in Randomized Controlled Trials of Cardiovascular Outcomes: A Systematic Review and Meta-Analysis. Circulation. 2021 Dec 21; https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9109217/   

[2] Bhatt DL, Steg PG, Miller M, Brinton EA, Jacobson TA, Ketchum SB, Doyle RT Jr, Juliano RA, Jiao L, Granowitz C, Tardif JC, Ballantyne CM; REDUCE-IT Investigators. Cardiovascular Risk Reduction with Icosapent Ethyl for Hypertriglyceridemia. N Engl J Med. 2019 Jan 3; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30415628/  

[3] ASCEND Study Collaborative Group; Bowman L, Mafham M, Wallendszus K, Stevens W, Buck G, Barton J, Murphy K, Aung T, Haynes R, Cox J, Murawska A, Young A, Lay M, Chen F, Sammons E, Waters E, Adler A, Bodansky J, Farmer A, McPherson R, Neil A, Simpson D, Peto R, Baigent C, Collins R, Parish S, Armitage J. Effects of n-3 Fatty Acid Supplements in Diabetes Mellitus. N Engl J Med. 2018 Oct 18; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30146932/ 

[4] Nicholls SJ, Lincoff AM, Garcia M, Bash D, Ballantyne CM, Barter PJ, Davidson MH, Kastelein JJP, Koenig W, McGuire DK, Mozaffarian D, Ridker PM, Ray KK, Katona BG, Himmelmann A, Loss LE, Rensfeldt M, Lundström T, Agrawal R, Menon V, Wolski K, Nissen SE. Effect of High-Dose Omega-3 Fatty Acids vs Corn Oil on Major Adverse Cardiovascular Events in Patients at High Cardiovascular Risk: The STRENGTH Randomized Clinical Trial. JAMA. 2020 Dec 8; https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7667577/ 

[5] Kalstad AA, Myhre PL, Laake K, Tveit SH, Schmidt EB, Smith P, Nilsen DWT, Tveit A, Fagerland MW, Solheim S, Seljeflot I, Arnesen H; OMEMI Investigators. Effects of n-3 Fatty Acid Supplements in Elderly Patients After Myocardial Infarction: A Randomized, Controlled Trial. Circulation. 2021 Feb 9; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33191772/  

[6] Albert CM, Cook NR, Pester J, Moorthy MV, Ridge C, Danik JS, Gencer B, Siddiqi HK, Ng C, Gibson H, Mora S, Buring JE, Manson JE. Effect of Marine Omega-3 Fatty Acid and Vitamin D Supplementation on Incident Atrial Fibrillation: A Randomized Clinical Trial. JAMA. 2021 Mar 16; https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7967086/  

[7] Berliner D, Mattern S, Wellige M, von Schacky C et al. (2019) The omega-3 index in patients with heart failure: A prospective cohort study. Prostaglandins Leukot Essent Fatty Acids. 2019 Jan; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30553401/   

[8] von Schacky C. Omega-3 index in 2018/19. Proc Nutr Soc. 2020 May 11 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32389149/   

[9] Metcalf RG et al. U-shaped relationship between tissue docosahexaenoic acid and atrial fibrillation following cardiac surgery. Eur J Clin Nutr. 2014 Jan; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24169465/  

[10] Tribulova N et al. Omega-3 Index and Anti-Arrhythmic Potential of Omega-3 PUFAs. Nutrients. 2017 Oct 30; https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5707663/  

Sonstige Quellen (nicht mit Nummern im Text versehen) 

Bild von ING Studio1985 auf Shutterstock

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