Weniger Zucker, mehr Gesundheit – warum die ersten 1000 Tage eines Menschen zählen

Zucker ist mehr als nur eine süße Versuchung – er kann langfristige Spuren hinterlassen. Neue Forschungsergebnisse zeigen eindrücklich: Eine zuckerarme Ernährung in den ersten 1000 Lebenstagen kann das Risiko für chronische Erkrankungen im späteren Leben deutlich senken. Eine deutliche Begrenzung der Zuckeraufnahme während der Schwangerschaft und in den ersten beiden Lebensjahren des Kindes reduziert das Risiko für Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck und kann den Krankheitsausbruch im späteren Leben um durchschnittlich 4 bzw. 2 Jahre hinauszögern. Die Weichen für lebenslange Gesundheit werden früher gestellt, als viele denken.
Gracner, Boone und Gertler (2024) analysierten in einer retrospektiven Kohortenstudie die Auswirkungen der Zuckerrationierung, die in Großbritannien am 26. September 1953 aufgehoben wurde. Die Rationierung hatte zuvor über mehrere Jahre hinweg den Zugang zu Haushaltszucker (Saccharose) stark eingeschränkt. Dadurch entstand ein natürliches Experiment, das es den Forschenden ermöglichte, die langfristigen gesundheitlichen Folgen einer reduzierten Zuckerzufuhr während der frühen Entwicklungszeit eines Menschen zu untersuchen [1].
Die Zuckerrationierung lag bei weniger als 40 g pro Tag für Erwachsene und 15 g für Kinder – Säuglinge und Kleinkinder unter 2 Jahren erhielten keinen Zucker. Diese Vorgaben entsprechen weitgehend den aktuellen Ernährungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die eine maximale Zufuhr von 50 g freiem Zucker pro Tag für Erwachsene empfiehlt – sowie den heutigen Richtlinien zur Zuckervermeidung in Schwangerschaft, Säuglings- und Kleinkindernährung.
Die Studie umfasste 60.183 Personen, die zwischen Oktober 1951 und März 1956 geboren wurden; als Kontrollgruppe dienten 22.028 Erwachsene ohne Zuckerrationierung. Eine eingeschränkte Zuckerzufuhr während Schwangerschaft und frühen Kindheit senkte:
- das Risiko für Typ-2-Diabetes um 38 %
- für Bluthochdruck um 21 %
- und für Adipositas um 30 %
Zudem verzögerte sich der Krankheitsbeginn bei Diabetes um bis zu 4 Jahre, bei Bluthochdruck um bis zu 2 Jahre. Allein schon eine reduzierte Zuckerzufuhr während der Schwangerschaft trug bereits zu einem Drittel der beobachteten Risikoreduktionen bei [1].
Laut der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung liegt der durchschnittliche Zuckerverbrauch in Deutschland bei rund 33,2 kg pro Kopf und Jahr – das entspricht etwa 91 g pro Tag. Damit wird die Empfehlung der WHO, täglich maximal 50 g freien Zucker aufzunehmen, deutlich überschritten – auch von Schwangeren.
Die KiESEL-Studie zur Kinderernährung des Max-Rubner-Instituts (MRI) welche Daten von 2014 bis 2017 von 890 Kindern von 1 bis 5 Jahren beinhaltet, zeigt, dass Kleinkinder in Deutschland durchschnittlich mehr als doppelt so viel Zucker konsumieren wie empfohlen. Süße Snacks und Softdrinks machen dabei 25 bis 36 % der täglichen Energiezufuhr aus, obwohl maximal 10 % empfohlen werden [2]. Säuglinge erhalten zwar seltener zugesetzten Zucker, doch mit Einführung der Beikost steigt die Zufuhr rasch – vor allem durch verarbeitete Produkte wie Milchbreie, Kekse oder Fruchtzubereitungen.
Ein Artikel im Deutschen Ärzteblatt (2024) betont die gesundheitspolitische Relevanz dieser Erkenntnisse. Denn obwohl Forschungsergebnisse, Fachgesellschaften und auch wir, die NährstoffAllianz, in ihren Empfehlungen eindeutig sind, Kleinkindern gar keinen zugesetzten Zucker zu geben, sind gesüßte Produkte nach wie vor ein häufiger Bestandteil der Ernährung von Babys und Kleinkindern – nicht zuletzt durch unzureichend regulierte Marktangebote und irreführende Kennzeichnung.
Die Studienautoren fordern daher nicht nur eine stärkere Aufklärung von Eltern, sondern auch klare politische Maßnahmen: verbindliche Zuckerobergrenzen für Kleinkindprodukte, restriktive Werbebeschränkungen und eine gezielte Gesundheitsförderung ab Schwangerschaft und Stillzeit.
Fazit:
Die ersten 1000 Tage eines Menschen sind ein einzigartiges Zeitfenster für Prävention. Die Evidenz ist eindeutig: Eine reduzierte bzw. vermiedene Zuckerzufuhr, insbesondere in dieser Lebensphase, schützt nachhaltig vor chronischen Erkrankungen. Die Erkenntnisse aus der britischen Zuckerrationierung zeigen, dass präventive Effekte nicht nur plausibel, sondern messbar und relevant sind – mit lebenslanger Wirkung. Vor dem Hintergrund des weiterhin deutlich zu hohen Zuckerkonsums in Deutschland ist es umso wichtiger, Ernährungsempfehlungen frühzeitig und konsequent umzusetzen – in der Schwangerschaft, im Beikostalter und darüber hinaus. Prävention beginnt nicht im Schulalter, sondern vor der Geburt.
Quellen:
[1] Gracner T, Boone C, Gertler PJ. Exposure to sugar rationing in the first 1000 days of life protected against chronic disease. Science. 2024 Nov 29;386(6725):1043-1048. doi: 10.1126/science.adn5421. Epub 2024 Oct 31. PMID: 39480913. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39480913/
[2] Spiegler C et. al. Unfavorable food consumption in children up to school entry age: results from the nationwide German KiESEL study. Front Nutr. 2024 Jul 1;11:1335934. doi: 10.3389/fnut.2024.1335934. PMID: 39010856; PMCID: PMC11246898. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39010856/
- Weltgesundheitsorganisation, 2020, Gesunde Ernährung, Abgerufen am 19. April 2025, von Gesunde Ernährung
- Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BZL), Zucker, Abgerufen am 19. April, von BLE – Zucker
- Deutsches Ärzteblatt, 2024, Weniger Zucker schützt den Nachwuchs, Abgerufen am 19. April, von Weniger Zucker schützt den Nachwuchs – News – Deutsches Ärzteblatt
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